Ein solches Konzept könnte durchaus eine vielversprechende Alternative darstellen, wirft jedoch entscheidende Fragen auf: Wer soll solche Städte verwalten? Wie lässt sich ein Gleichgewicht der Interessen sicherstellen? Welche Rolle sollten die EU und internationale Akteure bei Finanzierung, Legitimität und Kontrolle spielen?
Um Antworten darauf zu finden, arbeitete ein Studierendenteam der Willy Brandt School of Public Policy eng mit dem Lutherischen Weltbund, dem ehemaligen Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) und Dr. Katja Böhler vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft zusammen. Gemeinsam entwickelten sie das innovative Konzept der „Future Cities“.
Ziel des Projekts war es, bestehende Modelle zu analysieren und einen neuen Ansatz vorzuschlagen, der sowohl humanitären als auch wirtschaftlichen Realitäten gerecht wird. Das Team untersuchte zwei bekannte globale Ansätze: Paul Romers „Charter Cities“, die wirtschaftliches Wachstum versprechen, jedoch oft an mangelnder Akzeptanz und Legitimation scheitern, sowie das vom UNHCR inspirierte Modell der „Cities of Hope“, das auf Teilhabe und Bildung setzt, jedoch häufig unter Finanzierungsschwierigkeiten leidet.
Das Modell der Future Cities kombiniert die Stärken beider Ansätze und geht gleichzeitig deren Schwächen gezielt an. Vorgesehen sind Städte mit inklusiven Verwaltungsstrukturen, in denen Regierungen, internationale Organisationen und Geflüchtete gemeinsam Verantwortung übernehmen. Parallel sollen wirtschaftliche Anreize Unternehmen dazu bewegen, vor Ort zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Ein zentrales Element ist außerdem die berufliche Qualifizierung: Geflüchtete (und Einheimische) sollen praxisnahe Fähigkeiten in Bereichen wie digitale Dienstleistungen, erneuerbare Energien oder Gesundheitswesen erwerben. So entsteht eine qualifizierte Arbeitskraft, die zusammen mit investorenfreundlichen Rahmenbedingungen langfristig zur wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Städte beiträgt.
Zudem sollen diese Städte keine isolierten Orte sein, sondern Integration fördern: Geflüchtete können mit Aufnahmegemeinschaften interagieren und erhalten Perspektiven zur Arbeit oder Mobilität innerhalb des Landes oder der EU.
Das Konzept basiert auf drei zentralen Säulen:
- Inklusive, mehrstufige Governance: Aufbau von Verwaltungsstrukturen, die Geflüchtete, Aufnahmestaaten, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft einbinden – für geteilte Verantwortung, Legitimität und inklusive Entscheidungsprozesse.
- Kompetenzentwicklung und wirtschaftliche Stärkung: Berufsbildung und Bildungsangebote, die sich gezielt an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientieren, insbesondere in zukunftsweisenden Branchen wie erneuerbare Energien, Gesundheit und Digitalisierung.
- Nachhaltige und strategische Finanzierung: Förderung von Investitionen durch Anreize und öffentlich-private Partnerschaften, um wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Abhängigkeit von externer humanitärer Hilfe zu verringern.
Insgesamt bietet das Konzept eine mögliche Win-win-Situation: Geflüchtete erhalten neue Perspektiven und Handlungsspielräume, Aufnahmeländer gewinnen qualifizierte Arbeitskräfte und Stabilität, und Akteure wie die EU finden einen humanen, praxisnahen Ansatz zur Bewältigung langanhaltender Fluchtbewegungen. Auch wenn das Modell noch in der Entwicklung ist, versteht es sich als Aufruf, in der Krise auch Chancen zu erkennen – und Geflüchtetensiedlungen neu zu denken.